Abschied nehmen noch während der Schwangerschaft- ein Beitrag
zum SWR Nachtcafé vom 8.11.13
Manchmal sehen sich Eltern mit
Entscheidungen konfrontiert, die sie nie im Leben treffen wollten.
Die Schwangerschaft zu Ende er-leben oder nicht, mit dem Danach leben
oder lieber vorher ein Ende setzen? In bestimmten Situationen können
aus medizinischen Gründen noch spät Schwangerschaftsabbrüche
vorgenommen werden. Die manchmal hilfreiche, aber auch aus ethischen
Gründen heftig diskutierte Pränataldiagnostik spielt hier eine
wichtige Rolle. Denn sie macht Krankheiten, kleinste Veränderungen,
in den meisten Fällen auch nur das Risiko gewisser Erkrankungen
sichtbar und stellt so das Leben des noch ungeborenen Kindes auf die
Waagschale und zur Debatte. Spätabbrüche sind rechtlich möglich,
z.B. wenn die Gesundheit der Mutter durch den Fortgang der
Schwangerschaft bedroht wäre (z.B. durch schwerwiegende Infektionen)
, weil das Kind nur schwer behindert leben würde oder ausserhalb der
Gebärmutter gar keine Überlebenschancen haben würde. Soll mein
Baby die Schwangerschaft zu Ende leben, oder nicht? Beiden möglichen
Entscheidungen gehen emotionale, nervenaufreibende
Entscheidungsprozesse zuvor. Und manchmal kommt es durch die
traumatische Situation, wie in Trance – noch dazu umgeben von
Zeitdruck und äusseren Zwängen wie sie in Krankenhauskontexten
leider meistens herrschen- vielleicht zu keiner Herzensentscheidung.
Viele Mütter, viele Eltern, leiden später unter der Entscheidung
die sie unter Zeitdruck, unter Schock trafen, die Schwangerschaft
beenden zu lassen. Meist spielt die Zeit die fehlte eine grosse
Rolle. Die Zeit die notwendig gewesen wäre, die Diagnose zu
verarbeiten, sich von dem Kind noch im schwangeren Bauch zu
verabschieden, von den Wünschen und Träumen die mit der
Schwangerschaft verbunden waren.
Ich kenne Mütter, Eltern, die sich mit
Mut dazu entschieden haben: ja, das Kind soll auf die Welt kommen,
wenn es sein Moment ist, die Schwangerschaft soll nicht abgebrochen
werden. Z.B. das HR/ WDR Radiofeature von 2012- „das (kurze)
Leben der Lilli Lion“ von Karla Krause erzählt die Geschichte
einer jungen Mutter, die sich trotz diagnostiziertem Turner Syndrom
bei der Tochter eben dafür entscheidet und einem jungem Paar,
welches dann das Sterben des eigenen Kindes in den Momenten nach der
Geburt erlebt. Wie die Planung der Bestattung und Hoffnungsschimmer,
das doch alles ein Irrtum sein könnte, die Schwangerschaft
begleiteten erzählt das 52-minütige Radiofeature.
Die Entscheidung die Schwangerschaft
beenden zu lassen. Ein sehr tabuisiertes Thema. Die Trauer um das
früh verstorbene Kind ist meist besonders schwer, da sie sozusagen
„nicht authorisiert“ ist - das Umfeld denkt dann oft, die
betroffenen Mütter hätten die Entscheidung ja herbeigeführt,
hätten auch anders entscheiden können, wieso dann Trauern? Verkannt
wird, dass die Mütter, die Eltern, die ihr Kind durch eine solche
Entscheidungsherbeiführung verlieren, genauso um ihr Kind, ihr
Sternenkind, trauern. Offen oder eben aus Scham oder Angst isoliert.
Es wird wenig über stille Geburten geredet, in diesem Kontext
vielleicht erst recht? Es ist ein heikles Thema und mir fällt
es gar nicht so leicht passende Worte zu finden. Umso wichtiger ist
z.B. der Beitrag in dem Buch „Still geboren“ von Maureen Grimm
und Anja Sommer. In zwei exemplarischen Erzählungen über den
Verlust eines Babies möchten die beiden Autorinnen veranschaulichen
wie wichtig Rituale beim bewussten Verabschieden des toten Kindes
sind. Wie wichtig Zeit und ein würdiger Raum beim Abschied von einem
totgeborenen oder nach einer Frühgeburt verstorbenen Kind sind. In
einer der beiden Erzählungen geht um die Geschichte einer jungen
Mutter die durch die Diagnose einer schweren Infektionen zu dem
späten Abbruch der Schwangerschaft gedrängt wird. Und unter
traumatischen Bedingungen ihr Kind viel zu früh auf die Welt bringt.
Ebenso wichtig sind die Berichte betroffener Mütter, betroffener Eltern- Berichte die wichtig sind, damit es zu Veränderungen, die zu mehr
Würde bei stillen Geburten führen, kommt: in der Kultur der
Geburtshilfe, dem Bestattungswesen und -recht, der
gesellschaftlichen Haltung zu den stillen Geburten, die aus vielen
verschiedenen Gründen geschehen.
Am 8.11. sah ich durch Zufall das SWR
Nachtcafé im Fernsehen. In dieser Gesprächsrunde zum Thema „der
Fehler meines Lebens“ kommt der Moderator mit verschiedenen Gästen
ins Gespräch. Auch eine Mutter, Marion Erdinger, die heute den
Spätabbruch ihrer Schwangerschaft mit einem Kind mit Down Syndrom
sehr bereut, kommt zu Wort. Im Video ab Minute 42, unten der
Ausschnitt der Sendung in Schriftform. die Sehr berührt hat mich
auch der Vater der in dieser Sendung zu Wort kommt und über den Tod
und Verlust seiner Frau berichtet, die er und die drei gemeinsamen
Kinder durch einen schweren Autounfall verloren- er selbst sass am
Steuer. Wie konnte er das verarbeiten? So die ungefähre Frage des
Moderators. Er betont wie wichtig dabei ein bewusster Abschied war,
das Selbstgestalten in so vielen Momenten wie möglich und das
Teilhabenlassen aller drei Kinder in jedem Moment. Das Bild, das er
beschreibt, des ältesten, damals zehnjährigen Sohnes, der mit den
Beinen über dem Grabloch, am Grab sitzend für seine Mama Gitarre
spielt, ist mir in Erinnerung geblieben.
Der mutige Bericht von Marion Erdinger
gibt viele Themen wider, die viele Familien von Sternenkindern
betreffen: der Schock, der Zeitdruck, die eingeleitete Geburt, die Frage nach der Möglichkeit der Beerdigung, die Bestattung, die Depression nach dem Verlust,
Partnerschaftsprobleme und der Wunsch nach einem weiteren Kind.
Der Link zur Sendung:
http://www.ardmediathek.de/swr-fernsehen/nachtcaf/der-fehler-meines-lebens?documentId=18038850
Das Gespräch zum Nachlesen:
Wieland Backes (Moderator)
Marion Erdinger (Mutter, von zwei
Kindern, davon ein sogenannter medizinisch indizierter Spätabbruch)
Prof. Wilfried Echterhoff
(Psychotherapeut und Traumatherapeut)
WB: Nach diesem Moment ist nichts mehr
wie vorher- in einer bestimmten Hinsicht gilt das auch für Ihre
Geschichte, Frau Erdinger, die Sie erlebt haben. Manchmal denkt man
in solchen Situationen, in solchen krassen Schicksalsmomenten: kann
ich überhaupt noch weiterleben? Gab es bei ihnen auch solche
Momente?
ME: Also die gabs sicherlich. Gerade
auch weil ich ja nicht durch Zufall in diese Situation geraten bin,
sondern weil ich aktiv entschieden habe, was mit diesem Kind
passiert. Also das war sicherlich eine Komponente die es noch
schwerer gemacht hat. Aber das gabs lange Zeit, also ich war danach
richtig in ein Loch gefallen und weg irgendwo.
WB: Die Entscheidung vor der Sie
standen war die Frage, treibe ich das Kind, das in meinem Bauch ist
ab, in der 20./21. Schwangerschaftswoche. Sie waren damals schon 37,
es gab eine fast schon routinemässige Fruchtwasseruntersuchung, wie
sie viele kennen. Meistens geht es gut, aber in ihrem Fall ging es
nicht gut. Das Kind hat Trisomie 21, also kommt mit dem Down Syndrom
auf die Welt. Erinnern Sie sich noch wie Sie diese Nachricht bekommen
haben?
ME: Daran erinnere ich mich noch sehr
gut. Das war an einem Nachmittag vor einem Feiertag. Mein Frauenarzt
rief mich, er habe jetzt endlich die Ergebnisse. Das hatte sehr lange
gedauert, bis die da waren. Und er sagte: Es ist ein Junge und er hat
Trisomie 21...kurze Pause. Weisst du was das ist? Ich sagte, ja,
weiss ich. Er hat dann nur gesagt recht kurz: morgen ist Feiertag, da
haben wir nicht auf. Setz dich am Wochenende mit deinem Mann zusammen und
überlegt, was ihr tun wollt. Kommt am Samstag oder am Montag dann zu
mir in die Praxis.
WB: Wie ging es Ihnen mit dieser
Nachricht?
ME: Also ich habe das im ersten Moment
nicht so wirklich greifbar gehabt. Ich habe dann auch aufgelegt, ich
war alleine an dem Nachmittag. Mein älterer Sohn (damals 2/1/2 Jahre
alt) war noch bei der Tagesmutter. Ich war akut geerade in so einer
Leere, mein Mann war auf Geschäftsreise, und ich wusste ich konnte
ihn ad hoc jetzt nicht erreichen, ich habe dann auch zunächst meine
Mutter angerufen und die Reaktion war dann schon sehr wie alle
anderen Reaktionen in den folgenden Tagen auch: Oh, wann lässt du es
wegmachen. Das Kind war dann schon auf ein „es“ reduziert, es war
kein Junge mehr. Es ging dann nur noch um die Diskussion, wann lässt
du die, wann wird die Schwangerschaft abgebrochen.
WB: Also ein Schwangerschaftsabbruch,
eine Spätabtreibung ist bei uns vor diesem Hintergrund rechtlich
möglich. Jetzt standen Sie aber vor dieser Entscheidung: Austragen
oder Abtreibung? Wie gingen Sie in den nächsten Stunden, den
nächsten Tage damit um?
ME: Also wir haben uns relativ lange
Zeit gelassen, sowohl mein Mann als auch ich, wenn man das so im
Vergleich sieht mit anderen betroffenen Frauen, Paaren. Wir haben uns
die folgenden Tage tatsächlich nochmal Zeit genommen, eine Familie
mit einem „Down-Kind“ besuchen, zu schauen, wie kann so ein
Alltag mit einem behinderten Kind aussehen. Wir haben beim Jugendamt
nachgefragt, wie schaut es aus, wenn wir nach der Entbindung merken
wir brauchen Unterstützung, wir haben nochmal eine Feindiagnostik
machen lassen weil wir wissen wollten hat das Kind Erkrankungen- hat
das Kind vielleicht einen Herzfehler oder Magen- Darm- Fehlbildungen,
was ja oft einher geht mit dieser Behinderung. Das war ein
furchtbares Wechselbad, wir waren zwei Stunden der Meinung, ja, das
schaffen wir, dann wieder zwei Stunden, nein, das können wir auf
keinen Fall. Das können wir auch unserem ersten Kind nicht antun,
ihn so zurückzusetzen, wenn wir wissen da kommt ein Kind mit
Betreungsbedarf X, den wir noch nicht abschätzen können.
WB: Also Sie sahen sich Wechselbädern
ausgesetzt, konnten keine klare Entscheidung treffen, aber Sie sahen
sich ja auch auch einem gewissen Zeitdruck ausgesetzt. Also es musste
ja spätestens in 23.SSW geschehen. Wie haben sie letztlich
entschieden, und warum haben Sie so entschieden?
ME: also ich hab, das war so ziemlich
genau eine Woche dann- ich konnte dann einfach nicht mehr. Es hat
niemand in der Familie gesagt, wenn ihr euch dafür entscheidet, wir
unterstützen euch. Das war von niemanden in meinem Umfeld zu hören.
Es war immer relativ klar was doch zu tun sei, „das muss doch heute
nicht mehr sein“. Und nach einer Woche, ich konnte nicht mehr...ich
wusste nicht mehr was passiert. Und dann war auch dieses
Schreckgespenst da, wenn ich noch länger warte, dann muss dieses
Kind mit der Spritze zunächst getötet werden, bevor ich es
entbinden kann, und das wollte ich auf keinen Fall, das wäre für
mich völlig undenkbar gewesen. Wir haben dann an einem Freitag in
der Klinik angerufen und zum Glück sofort einen Termin bekommen.
WB: Also in dieser Phase spürt man
sein Kind schon im Bauch, spürt schon Kindsbewegungen. Wie haben sie
diesen Eingriff erlebt?
ME: Dieser Eingriff ist ja
eigentlich kein Eingriff, das haben wir dann auch erst im Laufe
der„was ist ein Spätabbruch“ erfahren. Das ist kein Abbruch mit
einer Narkose im OP, sondern das ist eine echte Entbindung. Man muss
in den Kreissaal und muss das Kind entbinden, wie jedes andere Kind
auch. Das war eine sogenannte Stille Geburt. ...Die Entbindung wurde
eingeleitet, indem mir einen Zäpfchen eingelegt wurde, was die Wehen
ausgelöst hat und ich hatte dann nach etwa zehn Stunden auch Wehen.
Das Kind kam nach einem halben Tag Wehen im Kreissaal tot zur Welt...
WB: Es gab zuvor auch noch
Ultraschallaufnahmen, glaube ich.
ME: Ja, es gab vorher bei der Aufnahme
in die Klinik noch einen grossen Ultraschall, aus rechtlichen
Gründen, wo man dann noch mal auf der Liege liegt und wunderbar den
grossen Bildschirm vor sich hat. Und wo ich dann auch gebeten habe,
das auszumachen , weil ich konnte das einfach nicht mehr sehen. Das
Kind war von Anfang an vitaler, als mein erstes Kind. Also ich habe ihn wesentlich früher gespürt, viel mehr Bewegungen wahrgenommen
schon seit einigen Wochen. Und dann hiess es: ja das müssen wir
machen, wir sind dazu gesetzlich verpflichtet. Und danach wurde eben
gesagt: Möchten Sie, dass wir die Geburt jetzt einleiten, ja oder
nein? Wenn Sie jetzt ja sagen gibt es kein zurück mehr.
WB: Sie haben ihr totgeborenes Kind
dann beerdigt.
ME: Ja, das war damals vor fünf Jahren
auch keine Selbstverständlichkeit, in der Regel. Es gibt auch
Kliniken wo diese Kinder auf den Sondermüll landen, wie ein
amputierter Arm. Wir haben damals ein Beerdigungsinstitut beauftragen
müssen, das Kind richtig abzuholen nach der Obduktion. Wir mussten
damals auch einen Antrag stellen, das Kind beerdigen zu dürfen, weil
es eben unter diesen 500 Gramm war, die damals noch rechtlich bindend
waren.
(Anm. von mir: Das Bestattungsgesetz ist Ländersache, in
vielen Bundesländern können inzwischen auch unter 500 Gramm
geborene Kinder bestattet werden bzw. sind sogar verpflichtet, in
manchen müssen
dies die Kliniken/Kommunen kostenlos übernehmen, wenn Eltern ihre
Kindern nicht bestatten. Dies geschieht dann in Sammelbestattungen.
Noch immer gibt es von Seiten der Kliniken aber manchmal
Fehlinformationen, noch nicht alle Gemeinden/ Friedhöfe stellen für
die Bestattung von Sternenkindern einen Raum zur Verfügung. Mehr zum
Thema siehe:
http://www.mein-sternenkind.de/bestattung/bestattungsrecht-bei-fehlgeburt/
und www.kindergrab.de ) Das
war damals ein Gutwill der Gemeine ob sie dem zugestimmt haben oder
nicht.
WB: Wie ging es Ihnen in der Zeit nach
diesem Geschehen?
ME: Also ich habe mich
moch am Laufen gehalten mit Dingen wie, du musst dich um einen Sarg
kümmern- gibt es in Deutschland keine passende Sarggrösse für
solche Kinder: Ich habe mich darum gekümmert die Beerdigung zu
organisieren. Und als dann die Beerdigung vorbei war bin ich
fürchterlich abgestürzt. Also ich war nicht mehr in der Lage mich
um mein (lebendes) Kind zu kümmern, ich habe keinen Kontakt mehr zur
Familie gefunden, ich habe keinen Kontakt mehr zu meinem Mann
gefunden...also ich war wirklich wie, ich sage das heute, wie unter
einer Decke erstickt.Das ging für fast zwei Jahre. Versucht
Therapeuten zu finden, freie Plätze erst in 6/7 Monaten.
Krankenkasse hart verhandelt, War nicht möglich und privat auf
konnte ich es auf keinen Fall selbst finanzieren. Ich hatte einige
Monate nach dem Abbruch das Glück einen Platz in einer Mutter- Kind-
Kur einen Platz zu bekommen mit dem Schwerpunkt Trauer. Das war recht
schwierig, das hat mir sehr geholfen da. Aber ich war in einer Gruppe
von Müttern, die ihr Kind aus irgendwelchen Gründen verloren hatten
und die nicht aktiv herbeigeführt hatten, dass das Kind nicht zur
Welt kam.
WB: War das das
Hauptthema, dass Sie das aktiv herbeigeführt haben?
ME: Damals ja. Also es
war kein Zufall, ich habe das Kind nicht einfach verloren weil es so
kam, sondern ich habe die Schwangerschaft aktiv beendet, also
entschieden, dass das Kind nicht leben darf.
WB: Ihre Ehe kam dadurch
in sehr schwieriges Fahrwasser
ME: Verständlich, wenn
man zwei Jahre so...Heute ist etwas besser, aber es ist ein Bruch da
der denke ich auch nicht mehr zu kitten ist.
WB: Sie haben noch
versucht durch künstliche Befruchtung ein weiteres Kind zu bekommen-
war das ein Versuch, darüber hin weg zu kommen?
ME: Mit Sicherheit, heute
sage ich mit Sicherheit,ja. Das hat nicht geklappt, wir haben das
nach vier oder fünf Versuchen sein lassen. Wo ich für mich dann
gesagt habe: gut dann ist das nicht so, dann soll das auch nicht
sein. Dann muss ich damit leben.
WB: Wissen Sie wie Sie
heute entschieden hätten oder entscheiden würden?
ME: Also wenn ich heute
in der Situation wäre würde ich keinen Abbruch mehr vornehmen. Aber
ich muss es mir immer sehr klar herholen: Ich kann es letztendlich
nicht entscheiden ob es eine richtige oder falsche Entscheidung war,
da ich heute nicht mit einem behinderten Kind lebe. Es kann auch
genauso gut sein, dass ich heute völlig zerbrochen wäre, das diese
Situation noch schlimmer wäre: ein gesundes und ein krankes Kind zu
haben.
WB (zu Prof.Wilfried
Echterhoff) : Solche Entscheidungen sind mit die Schwersten im Leben,
oder?
WE: Ja, die sind sehr
schwer, weil man nie richtige, klare Information hat. Das haben wir
eben auch gehört. Auch hier Unterstützung: also es gibt keine
klaren Hilfsmittel für die Entscheidung. Und das ist etwas was in
Richtung Tragik schon geht. Weil man im Nachhinein gar nicht mehr
sagen kann, wo die Fehler passiert sind. Das einzige was man also
weiss ist, dass in diesem ganzen Trubel, ihre Gefühle wahrscheinlich
zu kurz gekommen sind. Sie haben sich wahrscheinlich nie auf sich
selbst besinnen können (Marion Erdinger stimmt zu), weil sie immer
eingespannt waren in Problemlösung, in Diskussion. Letztlich ist es
immer das beste, auch für die längerfristige Zukunft, wenn man
einfach seinen eigenen Gefühlszustand befragt.Und sagt -
unbeeinflusst von anderen wenn es irgendwie geht: - was sagt mein
Gefühl? Und Gefühle haben immer recht. Und da gibt es manchmal
Widerspruch. Das was dieser riesige Computer in uns letztlich als
Ergebnis ausgibt. Und dieser interne Computer, so will ich es mal
sagen, kann auch mit „vielleicht“ antworten. Er antwortet mit
einem Gefühl, er kann auch alle Informationen verarbeiten, auch alle
Hoffnungen und Wünsche. Und diesem Gefühl, wenn man das klar
spürt, dem hat man zu folgen. Und was dann daraus folgt für die
Praxis- wie macht man das jetzt? Das sagt das Gefühl ja nicht. Aber
es ist die Marschrichtung. Und wenn man das schafft, das ist schwer,
aber wenn man das schafft, zuzulassen was man eigentlich spürt in
einer Problemlage und das Gefühl auch achtet so ist das auch eine
zukunftsfähige Hilfsgrösse, so dass man dann hinterher auch nichts
bereuen muss. Noch einen Schlenker: Vor wenigen Tagen hat ein
Medizin- und Gesundheitsfunktionär gesagt: man kann doch nicht neben
jede Person einen Psychotherapeuten stellen. Das ist eine zynische
Äusserung. Gerade in Hinblick auf Ihre Geschichte. Sie hätten
dringend jemanden benötigt, der ihnen therapeutisch zur Seite steht,
und das ist nicht gelungen. Das ist ein Systemfehler in unserem
Gesundheitssystem. Gerade wenn man vor so schweren Entscheidungen
steht. Das finde ich, muss geändert werden. Und der andere Appell
(Anm: an die Zuschauer?): hören Sie auf ihr Gefühl.